Hundewissen A-Z

Zuviel

Die Menge der Beschäftigung und Spaziergänge, die ein Hund braucht, ist sehr verschieden. In den letzten Jahren wird oft behauptet, dass unsere Hunde zu viel beschäftigt werden und deshalb so überdreht wären.

In der Zeit davor war die Begründung oft genau das Gegenteil. Unsere Hunde wären unterfordert.

Entwickelt hat sich das vermutlich zusammen mit der Zunahme an Hundeschulen, Hundehobbies und Angeboten rund um den Hund, die einen mittlerweile schon selbst überfordern können.

Wie leben unsere Hunde heute?

Das Leben unserer Hunde ist anstrengender geworden. Sie müssen sich noch mehr anpassen. Durch Leinenzwang und immer mehr Sorge vor Beißereien oder auch nur Ärger mit dem Nachbarn, müssen Hunde immer mehr zurückstecken. Um das auszugleichen, versucht man ihnen alle möglichen Hobbies anzubieten. Das Schlagwort Bedürfnisbefriedigung kann einem bald zum Hals heraushängen.

Schauen wir uns jedoch an, wie Hunde ohne uns leben würden, dann sehen wir, dass sie durchaus viel erleben und immer gern dabei sind. Was sie von heutigen Hunden oft unterscheidet, ist die Menge an Adrenalinausschüttungen und ihre Erwartungshaltung in Gegenwart von Menschen.

Viele der heute lebenden Hunde müssen recht lange allein sein. In dieser Zeit geschieht gar nichts. Sobald der Mensch nach Hause kommt, geht der Spaß los. Es geht raus, es wird gespielt, es wird trainiert, es wird HalliGalli gemacht. Die Erregung im Hund wird also mit der Gegenwart von Menschen und anderen Hunden verknüpft.

Auslastung und Ruhe trainieren?

Das Ziel vieler TrainerInnen ist es also, die Erregung und Verknüpfung zu vermeiden. Dafür wird empfohlen Ruhe und Entspannung aufzubauen.

Das Problem ist jedoch, dass Hunde diese Aufregung am Tag durchaus brauchen. Sie müssen sich körperlich austurnen können. Sie müssen mal aus sich herausgehen dürfen. Die Schwierigkeit ist also eher, wieviel Wichtigkeit im Tagesablauf das einnimmt. Wie bekommt man wieder einen guten Mittelweg hin, bei dem der Hund nicht stundenlang ohne irgendeine Reizeinwirkung ist und dann die volle Dröhnung bekommt.

Das zu erreichen ist schwer, denn es hängt von unserer Art zu leben ab. Verantwortung zu übernehmen beginnt an dieser Stelle. Habe ich am Tag nur 2 Stunden für den Hund zur Verfügung und den Rest der Zeit ist er allein, ist das nicht ausreichend.

Ein Hund braucht Ansprache und gemeinsame Unternehmungen. Er braucht Ruhe, die er allein verbringen kann und Ruhe, die er mit uns verbringen kann. Er braucht HalliGalli mit dem Menschen und ein einfaches Miteinander.

It depends on

Natürlich hängt die Menge, die ein Hund an Aufregung und Entspannung benötigt auch sehr stark von verschiedenen Kriterien ab. Zum Beispiel seinem Alter.

Ein Welpe hat in der Regel viel Aufregung in seinem Alltag. Er lernt täglich neue Reize kennen, braucht Zeit, sie zu verarbeiten und Zeit, sie zu entdecken und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ja, Welpen schlafen viel. Sie spielen aber auch sehr viel und sehr überbordend und sie müssen beides dürfen.

Das gilt noch einmal intensiver für den jungen Hund. Gerade die halbstarken finden ihren Platz in der Welt. Sie müssen ihre neu entdeckte Kraft vernünftig kanalisieren lernen. Sie brauchen Aufregungs- und Ausdauertraining. Mehr als erwachsene Hunde. Nicht umsonst sind die ersten 2-3 Jahre mit Hund die intensivsten. Hier auf zuviel Ruhe zu pochen ist nicht automatisch der richtige Weg. Erregungskontrolle und körperliche Auslastung stehen in dieser Zeit im Fokus. Und natürlich die Benutzung des Gehirns. Zeit für ein arbeitsintensives Hobby!

Der erwachsene Hund wiederum ist gesetzt. Er kennt die Regeln und Abläufe und passt sich ein. Er hat seine Beschäftigung und alle Beteiligten sind (hoffentlich) ein eingespieltes Team. Jetzt ist es wichtig, das nicht schleifen zu lassen.

Beim alten Hund wandelt langsam das Verhältnis zwischen körperlicher und geistiger Auslastung. Der Körper muss fit gehalten werden, kann aber nicht mehr in der Intensität wie früher. Der Kopf braucht jetzt wieder mehr Ansprache, um so lange wie möglich geistig wach zu bleiben und die fehlende körperlichen Möglichkeit auszugleichen.

Das ideale Hundeleben?

Ideal wäre es, wenn der Hund seinen Tag mit dem Menschen teilen kann. Wenn er mit auf Arbeit kann, dort etwas erlebt, aber auch entspannt. Wenn er ein Hobby/ eine Arbeit hat, die ihn mehrfach in der Woche auslastet. Wenn er sowohl körperlich als auch geistig ausgelastet wird.

Geistige Auslastung ist mittlerweile vermutlich jedem klar. Der Hund hat die Möglichkeit, etwas zu lernen, sich anzustrengen und dabei Freude zu haben. Tricktraining, Nasenarbeit und ähnliches gehört in die Kategorie. Für die körperliche Auslastung besteht noch viel Unsicherheit meiner Erfahrung nach.

Die körperliche Auslastung ist wichtig

Körperlich auslasten heißt, dass der Hund aus sich herausgehen kann. Dass er rennen kann und frei entscheidet, wie er sich bewegt. Es startet immer mit einer Aufwärmphase. Dann kann es mit hoher körperlicher Erregung weitergehen und sollte dann in eine Ausdauerbewegung übergehen, die langsam zu einem Cool Down wird. Zum Beispiel, indem man den Hund durch Kreise und Slaloms führt, Sitz und Platz abwechselt und ihn dann lossausen lässt. Das kann auch mal beim Bällchenwerfen sein oder einem ausgelassen Zerrspiel. Dann kommt das Fahrrad, an dem der Hund im Trab mitlaufen kann und sich körperlich anstrengt. Am Ende folgen ein paar Übungen aus diversen Bereichen und der Hund wird zufrieden sein.

Oft wird nur der mittlere Teil gemacht. Extremes Bällchenwerfen oder intensives Spiel mit anderen Hunden. Galoppieren am Rad oder andere hochaufregende Bewegungen. Doch es ist das ausdauernde Laufen danach, was den Hund wirklich glücklich körperlich auslastet. Ähnlich wie beim Menschen, der sich nach kurzen Sprints rasch wieder erholt, aber nach einer Ausdauerrunde wirklich erschöpft ist.

Ein müder Hund ist ein guter Hund. Das Müde machen ist mittlerweile fast eine Kunst, die man aufbauen muss, weil der normale Alltag für unsere Hunde das nicht bereithält.

Dabei ist es in vielen Fällen gar nicht so schwer, diesen Teil mit einzubauen, der auch uns gut tun würde. Joggen mit dem Hund neben dem Training. Mit dem Rad und Hund zur Arbeit fahren, wenn das möglich ist oder nach dem Toben das Longieren als Hobby für die Hunde, die nicht freilaufen dürfen.

Individuell betrachten

Am Ende ist es immer eine individuelle Entscheidung, die auf mehreren Kriterien beruht. Ob ein Hund zu viel oder zu wenig Auslastung erhält, zeigt er uns eigentlich recht deutlich. Schläft er in den Pausen wirklich tief und fest oder ist er immer in Hab Acht Stellung? Dann wäre ein erschöpfendes Hobby zu bedenken. (Wenn das Verhalten keine anderen Ursachen hat).

Ein überdrehter Hund kann durchaus bei falscher Beschäftigung entstehen. Zu erkennen ist es daran, dass er eben schlecht zur Ruhe kommt, kaum schläft und in der Beschäftigungszeit nur hoch erregt ist. Hier ist zu prüfen, ob die Art der Beschäftigung den Hund wirklich erschöpft oder einfach nur erregt.

Bekommt der Hund zu wenig Beschäftigung, kann er beginnen, seinen Menschen zu nerven oder sich eigene Hobbies zu suchen. Am Gartenzaun auf- und abrennen, Spuren ausarbeiten und Aufmerksamkeit fordern können Hinweise sein.

Am Ende gibt es wenig allgemeingültige Aussagen und wenn man sich nicht sicher ist, kann man auch einfach ausprobieren, wie sich der Hund gibt, wenn man ihm mehr anbietet oder weniger oder mal was ganz anderes.

Wichtig ist, dass alle Beteiligten Freude daran haben und es nicht als lästige Pflicht ansehen. Denn dann werden alle am Ende nicht glücklich miteinander. Immer dran denken: jeder hat sein eigenes Leben in der Hand. Änderungen können anstrengend sein, aber sie sind immer machbar.

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Ariane Ullrich

Ariane Ullrich

Ariane Ullrich ist Verhaltensbiologin, Initiatorin des Hundekongresses, Hundetrainerin, Hundetrainertrainerin, Autorin und Referentin.

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